Spitex-Verbände kritisieren Regierungsrat Schnegg hart

Weniger, dafür grössere Organisationen: Der Kanton Bern krempelt die Spitex-Landschaft um. «Das ist ein Affront», sagt die Verbandspräsidentin.

Altersbeschwerden, ein Unfall, eine Krankheit oder die Genesung nach einem Spitalaufenthalt: Brauchen Personen zu Hause Unterstützung, rufen sie die Spitex. In den letzten Jahren ist dies immer häufiger geschehen.

Wurden 2012 im Kanton Bern noch rund 38’500 Personen betreut, waren es zehn Jahre später bereits 54’600. Oder mit anderen Worten: Bei der Pflege zu Hause handelt es sich um einen enormen Wachstumsmarkt.

Jetzt aber sorgt SVP-Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg für Aufregung. Er krempelt die gesamte Berner Spitex-Landschaft um. Weniger, dafür grössere Organisationen sind das Ziel.

Er krempelt die Spitex-Landschaft im Kanton Bern um: SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg.

So will er die Spitex für die Zukunft wappnen und die Versorgung langfristig sicherstellen. Denn Schnegg ist überzeugt: Das Wachstum wird weitergehen. In einem Interview mit dieser Redaktion sagte er kürzlich: «Der Aufenthalt im Spital wird kürzer, der Rest der Hospitalisierung erfolgt daheim. Sei es für die Infusion oder für die Pflege: Das Spital kommt nach Hause.»

Mangel an Fachkräften
Um diese Ziele zu erfüllen, fehlt aber das Fachpersonal. Schon heute können die Spitex-Organisationen immer öfter ihren Auftrag nicht mehr erfüllen. Die Spitex Biel-Bienne Regio etwa musste letztes Jahr Einsätze triagieren und Partnerorganisationen anfragen, ob diese mit Personal aushelfen könnten.

Grössere Organisationen, so die Hoffnung von Schnegg, würden flexiblere Anstellungs- und Arbeitszeitmodelle ermöglichen. Dies wiederum dürfte sich positiv auf die Rekrutierung von Fachkräften auswirken.

Bei den Betrieben selbst sorgt das aber für Unmut. Ursula Zybach, Präsidentin des Spitex-Verbands Kanton Bern und SP-Nationalrätin, sagt: «Unsere Mitglieder sind offen gegenüber Veränderungen. Aber was hier passiert, ist ein Affront gegenüber der gesamten Branche.»

Um was geht es konkret?

Kooperationen und Fusionen
Heute ist der Kanton Bern in 47 Versorgungsregionen aufgeteilt, in welchen sowohl gemeinnützige wie auch private Organisationen Patienten betreuen. Der Kanton schliesst aber in allen Regionen mit einer Organisation einen Leistungsvertrag über vier Jahre ab.

So verpflichtete er diese, alle Aufträge entgegenzunehmen. Egal wie weit weg der Patient wohnt oder wie kurz die Pflege auch dauern mag. Für diesen Mehraufwand werden die Organisationen zusätzlich entschädigt.

Per 2026 reduziert die Gesundheitsdirektion nun die Versorgungsregionen auf 17, wie einem Eintrag auf der Ausschreibungsplattform Simap zu entnehmen ist. Sprich: Der Kanton wird nur noch mit 17 Organisationen einen Vertrag abschliessen, und diese werden für grössere Regionen zuständig sein.
Die Unternehmen haben knapp ein Jahr Zeit, sich entsprechend aufzustellen. Im ersten Quartal 2025 will der Kanton die Ausschreibung für die neuen Regionen starten.

Der Mangel an Fachpersonal und die zunehmende Nachfrage sind aber nicht die einzigen Gründe für die Neuorganisation. Langfristig plant der Kanton, die gesamte Gesundheitsversorgung innerhalb von vier Regionen zu organisieren und so die gesamte Behandlungskette vom Hausarzt über das Spital bis ins Wohnzimmer besser aufeinander abzustimmen. Die jetzige Spitexreform mit 17 Gebieten ist auf dieses Modell abgestimmt.

Heftige Kritik vom Verband
Ursula Zybach vom kantonalen Spitexverband ist nicht prinzipiell gegen grössere Versorgungsperimeter und neue Organisationseinheiten. Sie sagt aber, dass die nun definierten Regionen «teilweise realitätsfremd und nicht zweckmässig» seien.

So seien etwa Netzwerke unter Spitex-Organisationen, die sich bereits bewährt hätten oder sich noch im Aufbau befänden, nicht berücksichtigt worden. «Gemäss den Plänen des Kantons liegen manche dieser Partner neu in unterschiedlichen Regionen», so Zybach.

Kritik übt sie nicht nur an der Ausgestaltung der Neuordnung, sondern auch am fehlenden Mitspracherecht. Die eingebrachten Überlegungen des Spitexverbands seien kaum berücksichtigt, und man sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

Zudem habe die Gesundheitsdirektion ihre selbst gesetzten Termine nicht einhalten können und die neuen Regionen zu spät kommuniziert. Offen sei zudem noch immer, welche Organisationsformen überhaupt akzeptiert würden und wie die Finanzierungslogik ausgestaltet werde.

Die Folge: Den Spitex-Betrieben bleibt bis zur Ausschreibung weniger als ein Jahr, um Kooperationen einzugehen oder sogar zu fusionieren. Und am 1. Januar 2026 müssen sie bereits funktionieren. «Das ist extrem sportlich», so Zybach.

Mit dieser Meinung ist die SP-Nationalrätin nicht alleine. Grossrätin Anne Speiser, die wie Schnegg in der SVP ist, und Mitte-Grossrat Peter Gerber fordern in einem Vorstoss den Regierungsrat bereits auf, die Ausschreibung zu verschieben. Die Antwort des Kantons steht noch aus.

Private sind unzufrieden
Betroffen sind auch die privaten Spitex-Organisationen. Zwar bestehen heute Verträge lediglich mit gemeinnützigen Unternehmen. Seit einigen Jahren interessieren sich aber auch Private zunehmend dafür.

Marcel Durst, Geschäftsführer der Association Spitex privée Suisse, stimmt Ursula Zybach zu: «Es ist einfach nicht mehr zeitgemäss, dass die Leistungserbringer nicht in solche Reformen einbezogen werden.» Auch sein Verband habe nichts gegen eine Optimierung der Spitex-Landschaft – und grössere Regionen könnten durchaus Sinn ergeben. «Aber es muss ein Miteinander sein», sagt Durst.

Die Privaten sind allerdings bereits einen Schritt weiter als die gemeinnützigen Organisationen. «Wir werden einen Verein gründen, bei dem die einzelnen Organisationen Mitglied werden können. Der Verein wird sich in den Regionen bewerben und die Aufträge verteilen», so Durst.

Der Kanton kontert
Gundekar Giebel, der Sprecher der kantonalen Gesundheitsdirektion, zeigt zwar Verständnis dafür, dass die Veränderungen Anlass für Fragen und Bedenken bieten.

Die Gesundheitsdirektion sei aber in «regelmässigem Austausch» mit den beiden Verbänden. So könnten sie sich nun bis Ende Juni zu den geplanten Gebieten äussern. «Wir sind offen, sachgerechte Anpassungen an den Regionen zu prüfen», so Giebel. Anschliessend werde bekannt gegeben, welche Formen der Zusammenarbeit unter den Spitex-Organisationen akzeptiert würden.

Die nun vorgeschlagenen Gebiete seien aber tatsächlich so entwickelt worden, dass sie primär aus einer Bevölkerungs- und Versorgungsperspektive sinnvoll seien. Aus den Antworten von Giebel geht hervor, dass der Kanton bewusst in Kauf nahm, bestehende oder angedachte Kooperationen zu untergraben.

Klar sei: Die Gesundheitsdirektion werde keine Fusionen vorschreiben. Auch mit anderen Formen von Zusammenschlüssen könnten Synergien genutzt werden. Es sei zudem verständlich, dass es für die Betriebe nicht möglich sein wird, bis zur Ausschreibung «ihre Strukturen und Prozesse anzupassen sowie gegebenenfalls zu fusionieren». Dies werde bei der Ausschreibung und der Vergabe entsprechend berücksichtigt.

Dass die neuen Regionen mit einem Monat Verzögerung publiziert wurden, sei bedauerlich, so Giebel. «Die Gesundheitsdirektion hält aber am vorgesehenen Zeitplan vorerst weiter fest.»

 

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